Eine theatrale Recherche zu kolonialen Spuren in Berlin und Lomé
Eine postkoloniale Debatte anzuregen – das war das Ziel der 15 Beteiligten des Projektes TRACES, initiiert durch das „Kollektiv X Perspektiven“ und der „Compagnie Artistique Carrefour“ in Kooperation mit ASA-FF e. V. Gemeinsam haben die deutschen und togoischen Jugendlichen zu kolonialen Spuren in Deutschland und Togo recherchiert und sich dabei mit dem Nachhaltigkeitsziel 16 „Frieden und Gerechtigkeit“ befasst. Dabei lernten sie selbst nicht nur viel über den Kolonialismus, sie teilten ihre Erfahrungen auch durch Theateraufführungen mit der Öffentlichkeit.
Die Kolonialzeit aus deutscher und togoischer Perspektive betrachten
Die „Compagnie Artistique“ und das „Kollektiv X Perspektiven“ hatten zuvor schon in anderen Projekten künstlerisch und theaterpädagogisch zusammengearbeitet, in denen der Fokus auf Fragen der Machtkritik und der eigenen Positionierung gelegt wurde. 2019 gab es dann den Startschuss für das gemeinsame neue Projekt TRACES, in dem sich zwölf junge Erwachsene intensiv mit der deutsch-togoischen Beziehung seit der Kolonialzeit auseinandersetzen sollten.
Im Januar 2019 startete das Projekt mit der Vorbereitungsphase. Hier wurden die Grundlagen für eine vertrauensvolle Lernatmosphäre gelegt. Die Teilnehmenden lernten sich durch kleine Übungen über Kontinente hinweg untereinander besser kennen: Zum Beispiel beschrieben sich deutsch-togoische Tandems gegenseitig ihren Heimweg im eigenen Land, um sich auf diese Weise alltägliche Situationen im jeweils anderen Land besser vorstellen zu können. Inhaltlich beschäftigten sich die beiden Ländergruppen bereits mit dem Thema Kolonialismus: Die Gruppe aus Togo führte ein Gespräch mit dem Nachkommen des Königs von Togo, Mlapa III, der 1884 den Schutzvertrag mit Deutschland unterschrieben hatte. Die deutsche Gruppe besuchte die Ausstellung „The Dead, as far as [] can remember“ über koloniale Gewalt und antikolonialen Widerstand.
Recherchen im Alltag der Teilnehmenden
Während der Begegnungen in Deutschland und Togo begab sich die Gruppe auf postkoloniale Stadtrundgänge. Im Mittelpunkt stand dabei stets die Frage: Welche kolonialen Spuren gibt es noch im Stadtbild? Aber auch bereits vorhandenes Wissen sowie Sprache wurden hinterfragt: Wie werden koloniale Spuren behandelt? Welche Geschichten werden in Potsdam oder Togoville dazu erzählt?
Der Bezug kolonialer Spuren auf den persönlichen Alltag der jungen Menschen wurde nicht nur durch die Spuren in den eigenen Städten, sondern auch durch persönliche Objekte, alltägliche Wege und Handlungen geschaffen. Die Erfahrungen und Eindrücke aus den Recherchen wurden dabei gemeinsam dokumentiert und reflektiert.
Von der persönlichen Recherche zu öffentlichen Theaterstücken
Durch die Workshops und Exkursionen inspiriert, konzipierten die Teilnehmenden Theaterstücke. Hierfür mussten ihre Erfahrungen gemeinsam aufgearbeitet, Szenen erdacht und die Inhalte dramaturgisch entwickelt werden. Bei den Aufführungen der Theaterstücke in Togo und Deutschland im urbanen Raum, aber auch in Workshops mit der Universität der Künste Berlin, wurde das Projekt vorgestellt und die Erfahrungen mit Außenstehenden geteilt.
Bildergalerie mit Bildern aus dem Projekt
Kritisches Weißsein und Empowerment
Nicht nur die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden der beiden Länder haben das Projekt bereichert, darüber hinaus konnte auch jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer individuelle Geschichten und Erfahrungen einbringen.
Das, was man in der Schule in Büchern lernt, ist wirklich anders als das, was man lernt, wenn man auf die Menschen zugeht.
Die gesamte Gruppe konnte auf diese Weise deutlich von den unterschiedlichen Positionierungen zum SDG 16 profitieren und die einzelnen Teilnehmenden neue Erfahrungen durch das Projekt gewinnen: „Ich habe mit Teilnehmenden, die ähnlich wie ich in Europa geboren sind und Rassismuserfahrungen machen, Komplizität gefunden.
Kolonialismus ist für Menschen wie mich ein sehr persönliches Thema und mit vielen, teilweise sehr gegensätzlichen Emotionen verbunden“, berichtet eine Teilnehmende aus Berlin.
„Es hat mein Leben bereichert, es hat meine Wahrnehmung der Dinge wirklich geöffnet und ich habe viel gelernt. Denn das, was man in der Schule in Büchern lernt, ist wirklich anders als das, was man lernt, wenn man auf die Menschen zugeht. Ich habe die Kolonialgeschichte meines Landes neu gelernt, es war ziemlich herausfordernd und ich habe mich gefragt, warum wir das nicht schon früher gelernt haben“, erzählt eine Teilnehmende aus Lomé.
Spuren von TRACES im neuen Alltag der Teilnehmenden
Auch wenn das Projekt beendet ist, hat es Spuren hinterlassen und dazu beigetragen, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Postkolonialismus anzustoßen - sowohl bei den Teilnehmenden als auch beim Publikum. Das Fazit einer Teilnehmenden macht Mut: „Das Projekt hat meinen Blick dafür geschärft, dass Kolonialismus kein Kapitel aus dem Geschichtsbuch ist, das man einfach so wieder zuschlagen kann, sofern es da überhaupt umfassend behandelt wird. Sondern, dass koloniale Spuren bei so vielen Dingen, in so vielen Handlungen und in der Sprache zu finden sind und dekonstruiert werden sollten. Ich beteilige mich anders an Debatten und traue mich, mehr vermeintlich unbequeme und nervige Thematiken anzusprechen."
Bei den Teilnehmenden hat das gemeinsame Projekt einen Nerv getroffen und die Auseinandersetzung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Kolonialismus und seinen Auswirkungen ist auch nach TRACES nicht vorbei: Das nächste Projekt zum Thema verantwortungsvoller Konsum und koloniale Spuren in globalen Handelsbeziehungen ist bereits in Planung.